- Friedensnobelpreis 1974: Seán MacBride — Eisaku Satō
- Friedensnobelpreis 1974: Seán MacBride — Eisaku SatōDie herausragenden Leistungen der Preisträger waren der Widerstand gegen die Ausbreitung von Atomwaffen und das Eintreten für die Menschenrechte.BiografienSeán MacBride, * Paris 26. 1. 1904, ✝ Dublin 15. 1. 1988; irischer Jurist und Staatsmann, 1928-37 Mitglied der IRA, 1948-51 Außenminister, 1963-70 Generalsekretär der Internationalen Juristenkommission, 1970-73 Vorsitzender von Amnesty International, 1972-85 Vorsitzender des Internationalen Friedensbüros.Eisaku Satō, * Tabuse (Yamaguchi) 27. 3. 1901, ✝ Tokio 2. 6. 1975, japanischer Politiker, 1949 Beginn der politischen Laufbahn als Parlamentsabgeordneter der Liberalen Partei, 1964-72 Ministerpräsident und Vorsitzender der Liberaldemokratischen Partei.Würdigung der preisgekrönten LeistungBeide Preisträger, die im Dezember 1974 ausgezeichnet wurden, stammen aus Inselstaaten: der eine von der »Grünen Insel« Éire, der andere aus Nippon, dem »Reich der aufgehenden Sonne«. Die zwei Inselreiche könnten indes nicht gegensätzlicher sein. Irland war jahrhundertelang ein armes, ausgebeutetes Land, das von den Engländern beherrscht und erst nach einem blutigen Freiheitskampf ein souveräner Staat wurde. Japan gehört dagegen zu den reichsten Staaten der Erde, war seit dem Beginn seiner Geschichte immer ein unabhängiges Kaiserreich, das ab dem Ende des 19. Jahrhunderts als politische und wirtschaftliche Weltmacht hervortrat. Und so unterschiedlich wie ihre Heimatländer waren auch die Persönlichkeiten und Leistungen der beiden Preisträger.Ein ungleiches PaarAußer dem gemeinsamen Studienfach (Rechtswissenschaften) sowie der Tatsache, dass sie jeweils einige Jahre ihres Lebens im Gefängnis verbracht haben, verbindet die zwei Politiker nur wenig miteinander. Eisaku Satō, Nachkomme eines berühmten Samurai, durchlief eine für das Japan des 20. Jahrhunderts typische, gewissermaßen gutbürgerliche Karriere, mit kleineren Rückschlägen wie einer Verurteilung und Inhaftierung wegen Korruption, aber doch ohne entscheidende Wendepunkte. Er arbeitete sich vom einfachen Beamten im Eisenbahnministerium zielstrebig zum Direktor einer Eisenbahngesellschaft und stellvertretenden Minister empor, übernahm — als die Zeit dafür reif war — führende Positionen in der Partei, die bis heute die Politik in Nippon bestimmt, und krönte seine politische Laufbahn 1964 mit dem Amt des Ministerpräsidenten. Vor allem seine Außenpolitik war es, an der sich heftige Kritik im Inland entzündete, und Satō sah sich schließlich 1972 zum Rücktritt gezwungen.Seán MacBrides Leben verlief beruflich und privat in völlig anderen Bahnen. Der im politischen Asyl in Paris geborene Ire war beinahe schon von Kindesbeinen an ein Revolutionär, der dem Vorbild seiner Mutter und seines Vaters nacheiferte. Mutter Maud MacBride wurde unter ihrem Mädchennamen Maud Gonne als Schauspielerin weit über die Grenzen Irlands hinaus bekannt. Als Freiheitskämpferin — sie gilt als »Irlands Jungfrau von Orléans« und war Mitbegründerin der Partei Sinn Féin — genoss sie im eigenen Land noch größere Popularität, büßte für ihren Widerstand gegen die Briten allerdings wie ihr Sohn auch mit Gefängnishaft. Seáns Vater, Major John MacBride, gleichfalls ein Widerstandskämpfer, bezahlte dafür sogar mit seinem Leben: Nach dem von britischen Truppen im April 1916 brutal niedergeschlagenen Osteraufstand irischer Nationalisten wurde er zum Tod verurteilt und hingerichtet.Bei dieser familiären Vorgeschichte wundert es nicht, dass auch Seán MacBride zum Freiheitskämpfer wurde. Er trat der Irisch-Republikanischen Armee bei, war zeitweise deren Stabschef, zog sich 1937 jedoch aus der terroristischen Untergrundorganisation zurück, um seine politischen Ziele als Rechtsanwalt mit friedlichen Mitteln zu verwirklichen. Die Jahre 1946/47, in denen Seán MacBride zu den Mitbegründern der Republikanischen Partei zählte, als Abgeordneter ins irische Repräsentantenhaus gewählt wurde und danach rasch führende Ämter in Partei und Regierung übernahm, markieren einen weiteren Wendepunkt in seinem Leben. Denn seine Arbeits- und Interessenfelder verlagerten sich immer mehr auf die Mitwirkung in internationalen Institutionen.Die FriedenstatenSeán MacBride lebte in einer turbulenten Epoche der irischen Geschichte, die mit der Erklärung der Unabhängigkeit und der Teilung der Insel begann und mit der Proklamation der Irischen Republik und ihrer Entwicklung zu einem in die Europäische Union aufgenommenen Staatswesen endete. Der Friedensnobelpreisträger von 1974 hat seinen Teil dazu beigetragen, dass die Insel Irland nach dem langen Krieg wenigstens im größeren südlichen Teil zur Ruhe gekommen ist. Für das Osloer Nobelpreiskomitee war allerdings nicht diese Leistung Seán MacBrides, sondern vor allem sein Eintreten für die Menschenrechte und den Frieden in aller Welt ausschlaggebend. Schon bald nach der »Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte« (1948) begann der Europarat mit den Arbeiten zum Entwurf der Europäischen Menschenrechtskonvention, und der irische Außenminister hatte entscheidenden Anteil daran, dass diese Vereinbarung im November 1950 besiegelt werden konnte. Als führendes Mitglied der Internationalen Juristenkommission, des Internationalen Friedensbüros und nicht zuletzt der Menschenrechtsorganisation Amnesty International setzte sich Seán MacBride dann bis zu seinem Lebensende für die Menschenrechte und die Sicherung des Friedens ein.Eisaku Satō gilt in seinem Heimatland vor allem als einer der Architekten der »Japan-AG«, der für das fernöstliche Kaiserreich charakteristischen engen Verflechtung von Politik und Wirtschaft, die Japan nach dem Zweiten Weltkrieg innerhalb weniger Jahrzehnte zur Wirtschaftsgroßmacht werden ließ. Er bemühte sich darüber hinaus um Aussöhnung mit den im Krieg von japanischen Truppen besetzten Nachbarländern, insbesondere mit Südkorea, und erreichte in zähen Verhandlungen, dass die von den USA besetzten Ryukyu-Inseln einschließlich Okinawa 1972 an Japan zurückgegeben wurden. Aber sehr bald wurde heftige Kritik an den Verträgen zwischen Japan und den USA laut, man warf Satō vor, er hätte den USA zu große Zugeständnisse gemacht, und zwang ihn im Juni 1972 zum Rücktritt. Der von Satō unterzeichnete Atomwaffensperrvertrag stieß dagegen in Japan auf allgemeine Zustimmung, schließlich hatte das Kaiserreich die verheerende Wirkung von Atombomben bei den Angriffen auf Hiroshima und Nagasaki kennen gelernt. Ein wirksames Mittel gegen die weitere Ausbreitung von Atomwaffen ist dieser Vertrag freilich nicht geworden, inzwischen verfügt neben den »klassischen« Atommächten eine ganze Reihe anderer Staaten über solche Waffen.P. Göbel
Universal-Lexikon. 2012.